Mercedes verkleinert Angebot
Killt die Elektrifizierung T-Modelle und Coupés?

Die Elektrifizierung verstärkt den SUV-Trend – auch bei Mercedes. Das hat wohl Konsequenzen für einige klassische Karosserieformen, die auf der Streichliste stehen.

Mercedes Kombi T-Modell Streichliste Shooting Brake Modell Portfolio Collage
Foto: Mercedes / Patrick Lang

Zu Beginn seiner Amtszeit musste Ola Källenius Milliarden-Verluste bei Daimler melden. Bei den Gegenmaßnahmen orakelte der CEO damals – 2020 – schon: "Wir werden das Portfolio überprüfen, um uns auf die vielversprechendsten Produkte zu konzentrieren." Es gebe zudem Potenzial in der "Simplifizierung des Verbrenner-Portfolios". Aber was heißt das konkret?

Die Batterieentwicklung sowie jene der Plattformen EVA 2 (für EQS, siehe Video, und EQE) und der Electric First-Architektur MMA für kompakte Fahrzeuge bis C-Klasse-Größe erforderten große Investitionen. Im Juli 2021 hat Mercedes zudem drei komplett neue, rein elektrische Architekturen angekündigt: Die MB.EA für mittelgroße und große Pkw, also den Nachfolger von EVA 2 als skalierbare Basis des künftigen BEV-Angebots. Zudem die AMG.EA für leistungsorientierte Modelle und die VAN.EA für Vans und leichte Nutzfahrzeuge.

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Das Streichen hat bereits begonnen

Entsprechend werden konventionell angetriebene Modelle weichen müssen, vor allem wenn sie wegen zu geringer Stückzahlen keinen ordentlichen Deckungsbeitrag liefern. Tatsächlich hatte Mercedes zuvor seine Palette immer weiter differenziert und verbreitert: 40 Modelle umfasste sie zwischenzeitlich und nicht jede Variante war ein Erfolg. So verschwand beispielsweise der CLS Shooting Brake beim Generationswechsel genauso wie das S-Klasse Coupé; die X-Klasse ist längst eingestellt.

Inzwischen finden sich auf der Startseite des Mercedes-Konfigurators (ohne Smart) immer noch 32 Karosserievarianten der verschiedenen Modelle. Obwohl zu dieser Zahl Baureihen mit überschaubaren Unterschieden wie die Maybach-Derivate oder der CLS und der AMG GT 4-Türer beitragen, wächst bei Mercedes die Überzeugung, dass die Kunden selbst bei weniger Vielfalt den passenden Mercedes für sich finden.

E-Klasse T-Modell: Schluss 2030

Weil sich der SUV-Trend bei praktisch allen Herstellern mit der Elektrifizierung verstärkt, sterben immer mehr Kombis aus. Dieses Szenario blüht wohl auch bei Mercedes. Beispiel E-Klasse: 2023 bringt Mercedes auf der Verbrenner-Heckantriebs-Architektur MRA die neue Generation, die wieder in Limousinen-Form (W214), als T-Modell (S214) und als All-Terrain (X214) kommt. Legt man den Standard-Modellzyklus von sieben Jahren zugrunde, gibt es also noch bis 2030 einen Mercedes-Kombi in der oberen Mittelklasse. Es soll einem Bericht des US-Magazins "Car and Driver" zufolge das letzte echte T-Modell werden.

Und was ist mit dem rein elektrischen E-Klasse-Pendant EQE? Das Modell gibt es seit vergangenem Jahr im aerodynamisch optimierten Limousinen-Kleid und inzwischen obendrein als SUV. Ein Kombi ist – zumindest in der ersten Generation – nicht geplant. Das wird wohl auch so bleiben, wenn man den im erwähnten Bericht zitierten Mercedes-Managern glauben darf: Man wolle keine Modelle mehr im Portfolio, "die nur in Europa funktionieren oder ein sterbendes Segment bedienen". Dass der zweite EQE 2028/29 auch als T-Modell kommt, darf angesichts dieser Aussage stark bezweifelt werden. Es sei denn, bis dahin setzt ein Kombi-Boom ein. Doch wer mag daran glauben?

C-Klasse T-Modell: Schluss 2028

Der kompaktere Mercedes-Mittelklässler mit Hinterradantrieb (ebenfalls auf MRA-Basis) kam 2021 in fünfter Generation komplett neu. Das T-Modell hat Daimler quasi zeitgleich vorgestellt, auch als Offroad-Version All-Terrain. Damit ist das Kombiangebot bei der C-Klasse bis 2028 gesichert – länger allerdings nicht. Somit bleibt der für 2025 anberaumte neue CLA Shooting Brake auf der MMA-Plattform als letzter Kompakt- und Mittelklasse-Mercedes mit großer Heckklappe übrig.

Deutlich weniger Coupés als jetzt

Parallel zum großen Kombi-Sterben dünnt Mercedes das Coupé-Angebot stark aus. Das beginnt bereits im kommenden Jahr, wenn die Coupé- und Cabrio-Versionen der C- und E-Klasse zum neuen CLE verschmelzen.

Wie es danach in diesem Segment weitergeht, steht derzeit in den Sternen. Die oben zitierten Manager schließen "leistungsschwache Zweitürer" für die Zukunft jedenfalls aus.

Keine Zukunft für CLS und AMG GT 4-Türer

Apropos viertüriges Coupé: Für den CLS, dessen Shooting-Brake-Version bereits den letzten Generationswechsel 2018 nicht überlebte, und den AMG GT 4-Türer hat ebenfalls die letzte Stunde geschlagen; sie laufen wohl 2024 und 2025 ersatzlos aus. Angesichts der fließenden Formen von EQS und EQE mit ihren hervorragenden cW-Werten ist die Frage, ob Mercedes zwischen den Elektro-Limousinen noch ein viertüriges Coupé braucht. Aktuell kommen selbst die AMG-Versionen von EQS und EQE ohne eigene Karosse aus. 2026 könnte trotzdem ein solches Modell kommen, und zwar flankiert von einem elektrischen SL und einem AMG GT mit reinem Stromantrieb.

SUV-Limousinen und SUV-Coupés

Zwar will Mercedes perspektivisch "auf einen weiteren ausgefallenen Karosseriestil" verzichten. Doch schon seit einiger Zeit halten sich Gerüchte über eine neuartige Karosserievariante: Eine Mischung aus Limousine und SUV, eine so genannte SUL (Sports Utility Limousine) oder ein Sports Utlity Sedan (SUS). Das höher gelegte Stufenheck-Auto, wie es Daimler schon mal als Maybach-Concept-Car gezeigt hat, könnte Limousinen-Kunden bei der Stange halten, die sich täglich von SUV-Fahrern aufs Dach gespuckt fühlen und die das Segment selbst in China immer mehr schrumpfen lassen.

SUV-Coupés stehen dagegen ebenfalls weit oben auf der Streichliste. Aktuell gibt es sie auf Basis des neuen GLC, der noch in diesem Jahr mit Fließ- statt Steilheck kommt. Auch die nächste GLE-Generation, die wohl 2026 auf uns zurollt, dürfte wieder eine Coupé-Variante bekommen. Laut "Car and Driver" ist danach jedoch Schluss mit SUV-Coupés bei Mercedes – etwa 2033 dürfte es so weit sein.

Kahlschlag in den kleinen Segmenten

Dass Mercedes in den kleinen Segmenten die Axt schwingen wird, ist bereits seit der Vorstellung der neuen Markenstrategie im Mai 2022 klar. Ola Källenius sprach seinerzeit davon, die Zahl der Karosserievarianten am unteren Ende des Portfolios bei deren Wechsel auf die MMA-Plattform von sieben auf vier zu reduzieren. Genauere Informationen blieb der Konzernchef damals schuldig, aber inzwischen scheint sich herauskristallisiert zu haben, dass nur der CLA (mit Stufenheck und als Shooting Brake), GLA und GLB übrig bleiben. A- (mit Steil- und Stufenheck) und B-Klasse wird es künftig also nicht mehr geben.

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Nein, Mercedes hat zu lange am Verbrenner festgehalten und keine eigene E-Auto-Plattform.Klar, der älteste Autohersteller der Welt setzt zurecht auf Misch-Plattformen, denn wir werden noch lange Verbrenner fahren.

Fazit

Vermutlich erreicht man mit derart fein gestuften Unterschieden, wie sie Mercedes aktuell im Programm anbietet, tatsächlich mehr Käufer. Aber angesichts der Kosten bleibt immer die Frage: Wie viele sind es pro Modell und was kostet das? Schon die Anpassung eines Modells auf einen Exportmarkt kostet Autohersteller in der Regel einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Damit sich das lohnt, muss man etwa eine sechsstellige Stückzahl absetzen. Das scheint bei Kombis und Coupés künftig mehr denn je in Frage zu stehen, weshalb die Schwaben bei diesen Karosserievarianten wohl knallhart den Rotstift ansetzen werden.

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