Original-Test: Der erste VW Golf im Test
Der Nachfolger des Käfers

Wie war er? Diese Frage stellt sich bis heute, wenn ein neues Auto den Test bei auto motor und sport hinter sich hat. Besonders spannend war die Frage 1974: Der Golf sollte den Käfer ablösen. Hatte er das Zeug dazu? Klaus Westrup erklärt's im alten Test aus der auto motor und sport 16/1974.

VW Golf I LS (1974) erster Test auto motor und sport 16/1974
Foto: Hans Peter Seufert

Dem Käfer Konkurrenz zu machen ist schwierig – selbst wenn der Konkurrent aus dem Volkswagenwerk stammt und eigens für diese Attacke gebaut wurde. Dennoch stehen die Chancen gut für den Golf: Gegenüber dem erfolgreichen Veteranen hat er alle Vorzüge eines modernem Autos und den Reiz des Neuen zu bieten.

Was noch vor einigen Jahren in den Wolfsburger Werkhallen Parole war, dass nämlich Volkswagen nur luftgekühlte Heckmotoren zu haben hätten, klingt heute wie eine gute alte Mär. Denn die Zeiten haben sich gerade bei VW sehr geändert; mit Luft wird, wenn man die Modellpalette durchgeht, nur noch selten gekühlt, und wer sich auf die Suche nach den Motoren macht, stellt fest, dass sie bei den meisten Modellen nicht mehr hinten, sondern vorne eingebaut sind.

Unsere Highlights

K70 vor Golf

Volkswagen K70
mps
Der K70 kam 1970 von NSU und war der erste VW mit Frontantrieb.

Das Ende der zur Nordhoff-Zeit voll erblühten und ideologisch ausgeweiteten Luftkühlungs- und Heckmotor-Ära war gerade rechtzeitig gekommen. Man begann umzudenken – zunächst zögernd (und mit einem aufwendigen und später wieder verworfenen Mittelmotor-Projekt auch nicht besonders ökonomisch) unter Lotz, und erst recht unter Leiding, der zu einem Zeitpunkt von Audi aus Ingolstadt in die Käfer-Metropole berufen wurde, als die Auswirkungen der automobilen Monokulturen bedenklich geworden waren und die Konzernkasse immer weniger stimmte. Das offensichtliche Problem: weniger Verdienst mit einem in den Produktionskosten stets gestiegenen Publikumsliebling, dem VW Käfer, und ebenfalls weniger Verdienst mit den übrigen Personenwagen-Modellen des Hauses. Auch sie – etwa der von NSU übernommene K 70 und der Mittelklasse-Typ 411 – waren aufwendig von Konstruktion und Fertigung her. Erschwerend kam noch hinzu, dass sie sich als nur durchschnittlich verkäuflich erwiesen. Es fehlte an einem zugkräftigen, rationell zu fertigenden Typenprogramm, das dem unermüdlichen Käfer zur Seite gestellt werden konnte.

Technik von Audi

Audi 80 von 1972
Audi
Aus dem Audi 80 wurde 1973 mit dem Passat der zweite VW mit Frontantrieb.

Drei Jahre nach Leidings Umzug von Ingolstadt nach Wolfsburg, gibt es diesen Mangel nicht mehr. Der Passat, vom technischen Zuschnitt her ein Audi 80 mit Guigiaro-Heck, war des neuen VW-Bosses erster Streich in Richtung Zukunft. Der Streich saß: Auch in den zurückliegenden Krisenmonaten erwies sich der Passat als Verkaufsrenner, der im März und Mai sogar den insgesamt immer noch gut verkäuflichen Käfer in den Zulassungszahlen überflügelte.

Scirocco vor Golf

VW Scirocco GLI, Seitenansicht
Hardy Mutschler
Erster eigenständiger Frontantriebs-VW und Golf-Vorläufer: Der Scirocco kam kurz vor dem Golf.

Dann erschien, als erste eigenständige Volkswagen-Kreation der neuen Generation, der Scirocco, ein kompaktes Sportcoupé, dessen technische Basis mit dem Golf übereinstimmt. Der letzte Streich dieses mit viel Initiative vorangetriebenen Bauabschnitts wird ein nochmals kleineres Auto sein, das – zunächst als Audi, später als VW erscheinend – im Laufe des nächsten Jahres solche VW-Käufer zufriedenstellen soll, denen der Golf-Bereich zwischen 1100 und 1500 Kubikzentimeter Hubraum eine oder gar zwei Nummern zu groß ist. Die größten Hoffnungen setzt die Konzernspitze freilich auf den Golf; er ist der Käfer-Nachfolger auf längere Sicht, mit ihm will man gleichermaßen Käufer zufriedenstellen und Geld in die Kasse bringen, er soll zeigen, dass das mit einer Uralt-Konstruktion groß gewordene Volkswagenwerk auch anders kann.

Form von Giugiaro

VW Golf I LS (1974) erster Test auto motor und sport 16/1974
Hans Peter Seufert
Giugiaro zeichnete dem Golf I eine sachliche Form.

Es kann tatsächlich anders – das zeigt dieses Auto schon von weitem. Dabei war es von der Aufgabenstellung her nicht einfach, ein passendes Kleid für ein Auto wie den Golf zu finden. Denn es ist ja nicht nur einfach ein neuer VW, sondern gleichzeitig auch Ausdruck einer ganz bestimmten Erwartung – der Vorstellung nämlich, dass hier etwas entstanden sein könnte, das man in zehn oder gar 20 Jahren ähnlich einzustufen hat wie heute noch den Käfer – möglichst klassenlos und trotz unvermeidlicher Alterung nicht unangenehm alt. Es lag darum aus verständlichen Gründen der Wunsch nach einer Karosse von eigenwilliger Prägung vor; einfach einen kleinen Großen herkömmlicher Art zu fabrizieren – das schied von vornherein aus. Zweifellos hat sich das Bemühen um Individualität in Großserie gelohnt. Denn der Golf, dessen Karosserieform im wesentlichen ein Produkt der gestalterischen Künste von Giorgio Giugiaro ist, unterscheidet sich nachdrücklich von seinen Konkurrenten – erst recht natürlich vom Käfer.

Länge von 3,70 Meter

Die formale Eigenständigkeit, die eine besondere Betonung in der Heckpartie erfährt, basiert auf knapper Grundfläche. Mit einer Länge von 3,70 Metern ist der Golf ein relativ kleines Auto, das den Käfer beispielsweise in der Länge um nahezu einen halben Meter unterbietet. Im Raumangebot überbietet er ihn dagegen beträchtlich, und darin liegt auch der wahre Fortschritt. Wenn Knautschzonen bei der Konstruktion nicht so wichtig gewesen wären, könnte der Golf gar als Musterbeispiel des Kompaktbaus gelten; so werden bei quer und geneigt eingebauten Motoren unter der Haube Zentimeter verschenkt, die nur dann von Nutzen sind, wenn bei frontalen Zusammenstößen geknautscht werden muss. Dennoch blieb genügend Kompaktheit übrig; das Verhältnis des nutzbaren Raumes zu den Außenabmessungen ist beim Golf erstrebenswert günstig. Und die Passagiere haben etwas davon: Vier bis fünf Personen können samt Gepäck untergebracht werden, wobei es freilich den Vornsitzenden wesentlich besser ergeht als den Fondpassagieren. Hinten wird der Beinraum bei weit nach hinten geschobenen vorderen Sitzen knapp, was nicht nur am großzügig bemessenen Verstellbereich liegt, sondern auch an sehr ausgiebiger Sitztiefe hinten. Die große Beinauflage auf der Rücksitzbank ergab sich allerdings nicht zufällig, sondern ist die zwangsläufige Randerscheinung technischer Konzeption: Da sich der 45-Liter-Tank aus Sicherheitsgründen vor der Hinterachse befinden sollte, musste hier Platz geschaffen werden, der auch Teile des rückwärtigen Interieurs beanspruchte.

Kofferraum von 200 bis 400 Liter Volumen

VW Golf I LS (1974) erster Test auto motor und sport 16/1974
Hans Peter Seufert
Vorteil Golf: praktischer Kofferraum mit großer Klappe.

Hinter der Sitzbank tut sich das Gepäckabteil auf, das durch eine Heckklappe zugänglich wird und das – ganz, wie man es sich heute wünscht – mit wenigen Handgriffen in seinen Dimensionen zu verändern ist. Der Golf gibt sich in dieser Beziehung als sehr zeitgemäßes Auto von hohem Nutzwert, denn genau genommen stehen zwei Kofferräume zur Verfügung: einer mit einem Volumen von 200 Litern (nach auto motor und sport-Norm) für reguläre Zwecke, und ein zweiter, sich daraus weiterentwickelnder mit einem Fassungsvermögen von 420 Litern. Diese Übergröße stellt sich mit wenigen Handgriffen ein, setzt allerdings voraus, dass höchstens zwei Personen befördert werden: Nach Umklappen der Rücksitzbank wächst die ursprüngliche Transport-Kapazität auf über das Doppelte. Damit darf man zufrieden sein und ebenfalls mit der Zugänglichkeit; bei den L-Versionen wird die Heckklappe von Gasfedern aufgezogen und arretiert.

Die Sichtverhältnisse nach hinten sind gut – weniger gut sind sie nach schräg hinten: Es machen sich die breiten Dachstreben, die der überschlagserprobte neue VW aus Sicherheitsgründen mit auf den Weg bekam, gelegentlich störend bemerkbar. Dass das eigenwillige Wagenheck nicht ganz ohne Probleme ist, zeigte sich bei Regenfahrt: Die steil stehende Heckscheibe wird bei nasser Straße in wenigen Minuten undurchsichtig und verlangt nach Säuberung. Ein Heckscheibenwischer samt -wascher wäre beim Golf gewiss eine nützliche Sache, zumal das Werk ohnehin ein sogenanntes Schlechtwetterpaket gegen Mehrpreis anbietet, das aber ausgerechnet dieses notwendige Zubehör nicht enthält.

Hupt fast von alleine

VW Golf I LS (1974) erster Test auto motor und sport 16/1974
Hans Peter Seufert
Funktionales Golf-Cockpit mit gehobener L-Ausstattung.

Im übrigen fühlt man sich, zumindest in der L-Version, reichhaltig mit Ausstattung umgeben. Und es fehlt nicht an Funktionalität: Die Betätigungshebel liegen griffgünstig, das Schema für die Heizungsbedienung fiel klar und übersichtlich aus, und schließlich zeigt auch das Armaturenbrett, dass man sich um Sachlichkeit bemüht hat. Hier gibt es, auf eloxiertem Untergrund, zwei Rundinstrumente, von denen das linke Kombi-Charakter hat: Es zeigt zunächst einmal sehr großzügig die Uhrzeit an und informiert darüber hinaus, durch eingearbeitete Klein-Instrumente, über die Wassertemperatur und den Tankinhalt. Zur rechten wird einzig das jeweilige Tempo aufgezeichnet – in unmittelbarer Nähe des gegen Aufpreis lieferbaren Radios, das sich an dieser Stelle bestens bedienen lässt. An die Hupe kommt man dagegen ein bisschen zu gut; die für die Auslösung dieses Signals zuständige Prallplatte spricht auf zarteste Fingerdrücke an und erteilt den akustischen Befehl auch noch aus den Randzonen, die man meist zufällig berührt.

Bei den Sitzen könnte man sich Verbesserungen wünschen: In Kurven wird nur wenig seitlicher Halt geboten, und die Lehnenverstellung wäre besser stufenlos. Die im Testwagen vorhandene Kombination von Stoffbezügen im mittleren Teil und Kunstleder über den verschleißgefährdeten Kanten erwies sich dagegen als gute Lösung: An heißen Tagen trat nur geringe Schwitz-Belästigung auf. Die Verarbeitungsqualität machte bei dem Vorserien-Auto, das auto motor und sport zur Verfügung stand, noch keinen optimalen Eindruck – speziell Käfer-Fahrer sind hier anderes gewohnt. Auf besseres Finish in der Serie besteht aber berechtigte Hoffnung, denn das Volkswagenwerk setzt diesbezüglich immer noch Maßstäbe und wird die gewohnte Sorgfalt in der Fertigung dem jüngsten Spross wohl nicht vorenthalten.

Motor von Passat und Scirocco

VW Golf I LS (1974) erster Test auto motor und sport 16/1974
Hans Peter Seufert
Der 1,5-Liter der S-Version ist das stärkere von zwei Aggregaten, mit denen der Golf startet. Später folgen GTI, Diesel und GTD.

Zwei Motoren mit 1100 und 1500 ccm stehen im Golf wahlweise zur Verfügung – einer davon ist fast schon ein alter Bekannter: Das S-Modell wird von jenem rationell zu fertigenden Anderthalbliter-Vierzylinder angetrieben, der auch im Audi 80 und im VW Passat Dienst tut. Daß sich beim Golf, im Gegensatz zu diesen Autos, im Motorraum ein stark verändertes Bild ergibt, hängt mit dem Quereinbau der in der Leistung auf 70 PS reduzierten Maschine zusammen, die sich nun bestens zugänglich hinter den nötigen Knautschzonen präsentiert. Im übrigen gibt es dieses Triebwerk noch im Scirocco – klares Indiz dafür, dass Leiding technische Selbstbefriedigung stoppte und in erster Linie an Vereinheitlichung dachte. Wenn die gleichen Motoren insgesamt vier ganz verschiedene Autos (Audi, Passat, Scirocco und Golf) antreiben können, dann ist das zweifellos ein sehr wichtiger Schritt in Sachen Kostenerleichterung.

Für den Kunden sind damit keinerlei Nachteile verbunden. Denn auch im Golf zeigt sich, dass der Konzern-Motor seine Sache gut macht: Die Laufcharakteristik, die sich durch guten Antritt bei niedrigen Drehzahlen und Drehfreudigkeit auszeichnet, bleibt auch in der 70-PS-Version erhalten – außerdem entsteht der Vorzug, dass Normalbenzin verdaut wird. So zeigte sich der Testwagen, in den dieses stärkere Triebwerk eingebaut war, von durchaus reizvoller Zwiespältigkeit: Er war auf der einen Seite anspruchsloses Konsumgut, das mit billigem 90-Oktan-Benzin zum Laufen kommt, und er erschien auf der anderen Seite als potenter Sprinter, dessen Fahrleistungen eindeutig in den sportlichen Bereich hineinragen.

Leergewicht von 820 kg

Ein Wunder ist das nicht; mit einem Gewicht von 820 kg ist der Golf das Ergebnis gekonnten Leichtbaus und damit eine gute Basis für Temperament und geringen Benzinverbrauch. Die Messungen bestätigten denn auch, dass man an die S-Version ruhig mit hochgesteckten Erwartungen herangehen darf: In der Höchstgeschwindigkeit erreichte sie genau 160 km/h und erwies sich beim Beschleunigen auch solchen Autos als ebenbürtig oder gar überlegen, die wesentlich mehr kosten. Von 0 auf 100 km/h vergingen 12,8 Sekunden, einen Kilometer mit stehendem Start legte das gut motorisierte Leichtgewicht in zügigen 34,7 Sekunden zurück, und auch bei den Elastizitätsmessungen wurde der Beweis geliefert, dass der Golf ein dynamisches Auto geworden ist.

Dieser Umstand ist grundsätzlich erfreulich, denn man weiß, dass Autos mit günstigem Leistungsgewicht auch in der heutigen Zeit sinnvoll sind. So wirkt sich der Tatbestand, relativ "viel" Motor im Golf haben, durchweg positiv aus: Dank hoher Motorelastizität und günstigem Leistungsgewicht muss auch bei zügiger Fahrt nur selten geschaltet werden, und wenn es darauf ankommt – beim Überholen etwa –, ist man immerhin so spurtstark wie ehemals ein Porsche 1600 Super.

Läuft besser, säuft weniger

Solche Fahrleistungen kommen denkbar mühelos zustande. Der Motor, dessen obenliegende Nockenwelle über einen Zahnriemen angetrieben wird, kennt weder im unterem noch im oberen Drehzahlbereich Probleme und gibt sich im Golf bemerkenswert kultiviert. Das Kaltstartverhalten ist dank gut funktionierender Startautomatik einwandfrei, und schließlich muss gelobt werden, dass es den VW-Technikern gelungen ist, die ursprüngliche Brummigkeit dieses Reihenvierzylinders in den Griff zu kriegen. Auch bei hohen Drehzahlen tritt keine unangenehme Geräuschbelästigung ein, und da die Golf-Karosse durch geringe Windgeräusche zu gefallen weiß, bleibt das Lärmniveau selbst bei schneller Autobahnfahrt in erträglichem Rahmen. Von dieser Seite her präsentiert sich der neue VW als sehr brauchbares Langstrecken-Auto, mit dem es Vergnügen macht, auf der Autobahn schnell zu fahren. Das Vergnügen wird selbst an den Zapfsäulen nicht nachhaltig geschmälert, denn hier zeigt sich, dass günstiger spezifischer Verbrauch, konsequenter Leichtbau und ein guter cW-Wert der Karosse ihren ökonomischen Niederschlag finden. Mit einem Testverbrauch von 10,2 Litern/100 km erwies sich der 70-PS-Golf in Anbetracht der Fahrleistungen als sparsam, was insbesondere Käfer-Fahrer mit Neid erfüllen muss: Der neue Konkurrent läuft viel besser und braucht gleichzeitig weniger – und zwar Normalbenzin.

Einen guten Eindruck hinterließ ebenfalls das Getriebe, das gut gestuft ist und sich trotz Queranordnung des Antriebsblocks mit der nötigen Exaktheit schalten lässt. Die Schaltwege sind relativ lang, der Kraftaufwand beim Schalten bleibt gering. Für Typ-1-Fahrer entsteht gar ein vertrautes Gefühl: Der Schaltknauf stammt vom Käfer.

Fahrwerk vom Versuch

Die neue VW-Generation, zu der auch der Golf gehört, hat Frontantrieb – so selbstverständlich wie ehedem alle Volkswagen einen Heckmotor und angetriebene Hinterräder hatten. Beim Golf bestimmen vorne tiefliegende Querlenker und seitlich stehende Federbeine das Bild der Radaufhängung, hinten kam eine sogenannte Verbundlenkerachse zum Einbau, die aus Federbeinen, Längsschwingen und einem auf Torsion beanspruchten Querträger besteht und deren geringe Bauhöhe es gestattete, eine tiefe Tankanordnung vor den Hinterrädern zu wählen. Mit diesen Zutaten unterscheidet sich der Golf, was das Fahrwerk angeht, nicht vom Scirocco, und es ist deshalb kein Wunder. daß sich das neue Auto beim Fahren ähnlich anfühlt wie das zuvor präsentierte Sportcoupé gleichen technischen Zuschnitts.
Doch so sehr sich auch Parallelen zwischen diesen beiden verwandten Autos aufzeigen lassen, so sehr muss auch zwischen ihnen unterschieden werden: Was einem in Kleinserie produzierten Sportwagen recht ist, muss der bürgerlichen Variante nicht zwangsläufig billig sein – dazu sind auch die Erwartungen, die man an Autos so unterschiedlicher Prägung richtet, zu verschieden. Auf den Golf bezogen muss das heißen, dass etwas weniger Sportlichkeit in den Lenkeigenschaften sicherlich nicht geschadet hätte; zweifellos haben die VW-Techniker in ihrem Bemühen, es auch der heckmotorgewohnten Käfer-Kundschaft recht zu machen, des Guten etwas zu viel getan.

Hohe Kurvengeschwindigkeiten

VW Golf I LS (1974) erster Test auto motor und sport 16/1974
Hans Peter Seufert
Golf im alten Test: hohe Kurvengeschwindigkeiten, leichtes Untersteuern, kaum Lastwechselreaktionen.

Bei dem mit der wahlweisen Reifenbestückung 175/70 SR 13 versehenen Testwagen stand auf der Habenseite eine ungewöhnliche Handlichkeit und ein selbst bei hohen Kurvengeschwindigkeiten nur sehr zartes Untersteuern. Gewöhnung erforderte dagegen die Lenkung, die nur geringe Rückstellkräfte entwickelte und den Fahrer stets verpflichtete, das Auto bewusst zu steuern. In Kurven stellen sich zwar hohe Sicherheitsreserven allein schon dadurch ein, dass die möglichen Kurvengeschwindigkeiten sehr hoch sind. Aber gleichzeitig zeigt sich eine deutliche Lenk-Nervosität, die das Auto bereits bei minimalen Lenkbewegungen über die Null-Lage hinaus vom Kurs abweichen läßt und den Geradeauslauf beeinträchtigt. Mit dem Reifenformat der Spezifikation 155 SR 13, wie es bei den 1,5-Liter-Modellen serienmäßig geliefert wird, lässt diese Erscheinung nach, wobei immer noch die Empfehlung zu geben ist, den betont lenkdirekten Golf mit Gürtelreifen größerer Schräglaufwinkel zu versehen. Teigig wird die Lenkung auch dann noch nicht – es bleibt genügend Agilität, bei verringerter Nervosität. Lastwechselreaktionen beim plötzlichen Gaswegnehmen in Kurven kennt der Golf mit der 175er-Bereifung selbst in Extremfällen nur in äußerst bescheidenem Maße; sie nehmen jedoch zu, sobald das Auto – wie in der Normalausführung serienmäßig – nur mit Diagonalreifen ausgerüstet wird.

VW Golf I, Käfer und Kadett im Vergleich

VW Golf LS

VW 1303 LS

Opel Kadett 1200 S

Hubraum (ccm)

1471

1584

1196

Leistung (PS bei U/min)

70/5800

50/4000

60/5400

Preis (DM)

9370

8565

9472

Beschleunigung 0-100 km/h (s)

12,8

19,5

16,1

1 km mit stehendem Start (s)

34,7

39,8

37,3

Höchstgeschwindigkeit (km/h)

160

142,3

144,0

Testverbrauch (l/100 km)

10,2

12,2

9,4

Im winterlichen Fahrbetrieb wird der Golf seine zukünftigen Käufer kaum enttäuschen; er besitzt zwar kleinere Räder als der Käfer (13 statt 15 Zoll), doch er hat, genau wie dieser, gut belastete Antriebsräder. Immerhin ruhen 63 Prozent des Gesamtgewichtes auf der Vorderachse, so daß schon konstruktionsbedingt für gute Traktion auf glatten Straßen gesorgt ist.

Komfort könnte besser sein

Konstruktiv bringt der Golf dagegen keine besonders günstigen Voraussetzungen für guten Fahrkomfort mit – leichte Autos mit kurzem Radstand sind in dieser Beziehung grundsätzlich benachteiligt. So ist das Komforterlebnis nur befriedigend: Ein unangenehm hartes Auto ist dieser neue VW nicht, allerdings auch kein besonders kommodes. Kurze Bodenwellen werden von der Federung schlecht absorbiert, und schließlich ist die Federungsabstimmung nicht optimal. Das Federungsverhalten der Sitze ist an diesem Mangel nicht ganz unschuldig; unter bestimmten Bedingungen werden die Passagiere kräftiger in Vertikalbewegungen versetzt als das Auto – weniger Nachgiebigkeit im Sitzkern würde hier sicher für eine Verbesserung sorgen.

Technische Daten Golf I LS (1974)

MOTOR

Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, vorn quer eingebaut, Bohrung x Hub 76,5 x 80 mm, Hubraum 1471 ccm, Verdichtungsverhältnis 8,2:1, Leistung 70 PS bei 5800 U/min, spezifische Leistung 47,6 PS/Liter, maximales Drehmoment 11,4 mkg bei 3000 U/min, mittlere Kolbengeschwindigkeit bei 100 km/h im IV. Gang (entsprechende Drehzahl 3580 U/min) 9,6 m/s, 5fach gelagerte Kurbelwelle, obenliegende Nockenwelle, Antrieb durch Zahnriemen, Wasserkühlung mit Pumpe und Thermostat, Druckumlaufschmierung mit Ölfilter im Hauptstrom, 1 Fallstromvergaser mit Startautomatik, mechanische Benzinpumpe, 45-Liter-Benzintank im Heck, Batterie 12 V 36 Ah, Drehstromlichtmaschine 420 Watt.

KRAFTÜBERTRAGUNG

Antrieb auf die Vorderräder, Einscheiben-Trockenkupplung, vollsynchronisiertes Viergangetriebe mit Mittelschaltung, Übersetzung (in Klammern Gesamtübersetzungen): I. 3,45 (13,455), II. 1,96 (7,644), III. 1,37 (5,343), IV. 0,97 (3,783), R. 3,17 (12,363), Achsantriebübersetzung: 3,90, auf Wunsch automatisches Getriebe.

FAHRWERK

Selbsttragende Karosserie, vorn Einzelradaufhängung an Querlenkern und Federbeinen, hinten Verbundlenkerachse, bestehend aus Längslenkern und torsionsfähigem Querträger, vorn und hinten hydraulische Teleskopstoßdämpfer, Zahnstangenlenkung, hydraulische Fußbremse, vorn Scheiben-, hinten Trommelbremsen, Zweikreissystem, Felgen 5 J x 13, Gürtelreifen 155 SR 13, beim Testwagen Goodyear G 800 S 175/70 SR 13, Abrollumfang 1760 mm.

ABMESSUNGEN

Radstand 2400 mm, Spur 1400/1358 mm, Außenmaße 3723 x 1610 x 1410 mm, Innenbreite vorn 1320 mm, hinten 1270 mm, Innenhöhe über Sitzhinterkante vorn 930 mm, hinten 870 mm, Sitztiefe vorn 500 mm, hinten 480 mm, Knieraum hinten 80–220 mm, Wendekreis links 10,1 m, rechts 10,8 m, 3 ½ Lenkradumdrehungen von Anschlag zu Anschlag.

GEWICHTE

Eigengewicht vollgetankt 820 kg (davon Vorderachse 515 kg, Hinterachse 305 kg, Gewichtsverteilung 62,8 : 37,2), zulässiges Gesamtgewicht 1210 kg, Zuladung 390 kg, Personenindexzahl 4,6, zulässige Anhängelast gebremst 800 kg, ungebremst 590 kg, zulässige Dachlast 50 kg, Leistungsgewicht vollgetankt 11,7 kg/PS, bei Belastung mit 340 kg (4 Personen mit Gepäck) 16,6 kg/PS.

Scheibenbremsen erst bei den S-Modellen

Bleibt noch die Bremsanlage zu erwähnen: Scheibenbremsen vorne gibt es serienmäßig nur bei den stärker motorisierten S-Modellen, in denen gleichzeitig ein Bremskraftverstärker zum Einbau kommt. Mit dieser Auslegung gibt es keine Probleme, so dass es nicht zum Überbremsen bei niedrigen Geschwindigkeiten kommen kann. Auf der anderen Seite stehen genügende Reserven für forcierten Betrieb bereit. Dass die Scheibenbremse an den Vorderrädern bei den schwächeren Elfhundertern nicht vorgesehen ist, muss freilich als gravierender Mangel erscheinen.

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Fazit

Das Volkswagenwerk setzt große Hoffnungen in den neuen Golf, und diese Hoffnungen sind – das zeigte sich nach ausgiebigem Umgang mit dem neuen VW – durchaus berechtigt. Denn für das Publikum stellt das jüngste Wolfsburger Produkt eine wichtige Angebotsbereicherung dar: Wer in der Preisklasse zwischen 8.000 und 9.000 Mark zukünftig einkaufen will, wird auch zu überlegen haben, ob das nächste Auto nicht ein Golf werden soll. Von der Sache her spricht einiges für eine solche Entscheidung: Einen so fahraktiven und nützlichen Volkswagen gab es bisher noch nie.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
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Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten