Dieter Zetsche im Abschiedsinterview „Ich habe viele Ideen, was ich machen kann“

Das Abschiedsinterview mit Dieter Zetsche, der Ende Mai nach 13 Jahren als Daimler-Vorstandschef in den Ruhestand geht – nur persönliche Fragen!

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Rossen Gargolov
Wo haben Sie während Ihrer langen Karriere am liebsten gelebt?

Ich habe mich an vielen Stellen sehr wohlgefühlt und bin überzeugt, dass auch meine Familie dadurch, dass sie die Welt aus verschiedenen Perspektiven kennengelernt hat, von überall etwas mitnehmen konnte. Wir hatten in den USA eine tolle Zeit, in Brasilien, in Argentinien. Wir haben die Auslandsjahre sehr, sehr genossen. Aber natürlich war nicht immer alles einfach, insbesondere für meine Familie, die mit vielen Veränderungen umgehen musste.

Mit Ihrem Look – Jeans und Sneakers – waren Sie ja ein Vorreiter bei den Topmanagern. Kann man sich so einen bewusst lockeren Auftritt nur leisten, wenn die eigene Autorität ohnehin groß genug ist?

Für mich ist das keine Frage der Autorität. Wir haben damals im Vorstand vereinbart, dass sich jeder anziehen soll, wie sie oder er es für richtig hält. Das haben wir im Vorstand begonnen. Und zwei Monate später hatte es sich bereits im Unternehmen verbreitet – weil sich offensichtlich die große Mehrzahl so wohler fühlt.

Sind Sie jemals von irgendjemandem dafür angegangen worden?

Extern habe ich nur ein- oder zweimal mitbekommen, dass irgendjemand gesagt hat: „Wie kann man nur so erscheinen!“ Komischer war: Zu Beginn, als Jeans in unserem Umfeld noch ungewohnt waren, haben sich manche Menschen entschuldigt, die mir mit Schlips entgegengekommen sind. Das hat mich erstaunt.

Mit welchem Mercedes-Modell lässt sich Ihre Karriere am ehesten vergleichen?

Wahrscheinlich mit dem G-Modell. Ich habe versucht, mir immer treu zu bleiben und mich gleichzeitig weiterzuentwickeln.

Ihr Lieblings-Mercedes aus allen Epochen?

Der 300 SL – sowohl offen als auch geschlossen. Wobei ich besser in den offenen passe.

Wenn es keinen Mercedes auf der Welt gäbe – für Sie sicherlich nur schwer vorstellbar –, welches Auto würden Sie dann gerne fahren?

Mich faszinieren Autos mit Emotion! Den Aston Martin DB5 aus „Goldfinger“ fand ich immer gut.

Sie hatten nie Berührungsängste, die unterschiedlichsten Menschen zu treffen. Was war eine Ihrer interessantesten Begegnungen?

Eine sehr interessante Situation war sicherlich meine Rede auf dem Grünen-Parteitag. Das war für beide Seiten nicht das klassische Set-up. Und es hat sich sehr positiv entwickelt, was vielleicht so mancher nicht erwartet hätte.

Mit welchem Gefühl sind Sie da rein? Waren Sie sich sicher, dass Sie die Leute auf Ihre Seite kriegen?

Ich bin da mit Neugier rein, aber natürlich auch mit einer gewissen Zuversicht. Mir macht es einfach Spaß, mit vielen verschiedenen Menschen zusammenzukommen. Ich habe in meinem Leben den Eindruck gewonnen: Wenn Sie Menschen mit Vertrauen begegnen, dann werden Sie dieses meistens bestätigt bekommen. Das gilt aber auch umgekehrt, wenn man Menschen mit Misstrauen begegnet. Meine Überzeugung: Positiv auf Menschen zuzugehen, macht das Leben einfacher und angenehmer.

Was war denn schwerer: als ganz früher Hoffnungsträger nach vorne zu kommen oder dann tatsächlich da oben zu bleiben über so viele Jahre hinweg?

Auf dem Weg nach vorne wird man durchaus mit Sympathie begleitet – vielleicht auch, weil es für die Medien erst mal schön ist, eine Erfolgsstory zu beschreiben. Ist man an der Spitze angekommen, kann es natürlich genauso schön sein, ein angebliches Scheitern zu beschreiben. Insofern ist wahrscheinlich die schwierigere Aufgabe als Manager, möglichst langfristig orientierte Entscheidungen zu treffen, unabhängig davon, wie sie in der Öffentlichkeit ankommen.

Fällt es Ihnen vom Naturell her leicht, negative Geschichten nicht so an sich ranzulassen?

Da gibt es wahrscheinlich keinen, an dem das völlig spurlos vorbeigeht. Über die Zeit kriegt man natürlich ein dickeres Fell. Wenn da jeden Tag unzählige Presseberichte kommen, dann muss man sich nicht zwingend an jeder Seite aufhängen. Als wir beispielsweise bei Mercedes in eine neue Designrichtung gegangen sind, gab es sehr viel Kritik. Aber ich war einfach überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind. Deswegen hat mich diese Kritik wenig getroffen. Schwieriger ist das, wenn die Kritik unter die Gürtellinie geht.

Wenn Sie heute den Dieter Zetsche des Jahres 2000 treffen würden, der gerade in den Flieger steigt, um beim neuen Daimler-Partner Chrysler in den USA als CEO anzufangen: Was würden Sie diesem Dieter Zetsche mit auf den Weg geben?

Aus rationaler Sicht hätte ich damals sagen sollen: „Ich mache das nicht.“ Denn die Risiken waren höher als die Chancen. Aber so habe ich damals nicht gehandelt. Und so würde ich heute auch im Rückblick nicht handeln wollen. Ich gehe die Dinge per se optimistisch an und gehe davon aus, dass es eine Lösung gibt. Genau deswegen würde ich in der Rückschau genauso unbekümmert darauf zugehen, wie ich das damals gemacht habe.

Woher haben Sie die Fitness für diesen harten Job? Machen Sie viel Sport?

Auf der einen Seite lebe ich relativ vernünftig, ich rauche nicht, trinke wenig Alkohol und versuche, ausreichend Schlaf zu bekommen. Auf der anderen Seite kann man natürlich mit den Herausforderungen besser klarkommen, wenn man eine positive Grundeinstellung hat. Das Wichtigste ist, seine Unabhängigkeit beizubehalten. Wenn man glaubt, der Job sei das Leben, dann muss man Risiken im Job als lebensgefährlich betrachten. Wenn man aber – bei allem Herzblut und bei allem Einsatz – den Beruf als einen Teil des Lebens sieht und es andere Dinge gibt, die mindestens genauso wichtig sind, dann kriegt man diese Unabhängigkeit. Dann kann man auch eher mit Schwierigkeiten umgehen. Natürlich versuche ich, mich auch ausreichend zu bewegen, aber ich bin kein Marathonläufer.

Sie klingen überhaupt nicht so, als ob Sie Angst vor der Zeit hätten, in der Sie nicht mehr Daimler-Boss sind. Stimmt der Eindruck?

Ich weiß nicht, wie ich mich nach meinem Abschied Ende Mai fühlen werde. Aber aus heutiger Sicht freue ich mich darauf und habe viele Ideen, was ich anschließend machen kann.

Werden Sie es hinkriegen, Ihren Nachfolger Ola Källenius nicht jeden Tag anzurufen?

Meine Zielsetzung ist, ihn überhaupt nicht anzurufen. Er hat meine Telefonnummer, und das ganze Team besteht ja zum großen Teil fort. Insofern ist die Veränderung ja gar nicht so stark. Ich hoffe und ich weiß, dass Ola selbstverständlich seinen eigenen Weg gehen wird, aber zunächst mal wird der Übergang von Kontinuität geprägt sein.

Vita

Geboren 5. Mai 1953 in Istanbul
1971-1976 Studium Elektrotechnik in Karlsruhe
1976 Daimler, Forschungsbereich
1987 Entwicklungschef Mercedes Brasilien
1989 Präsident Mercedes Argentinien
1991 Chef Freightliner, USA
1995 Vertriebsvorstand Mercedes
2000 Chef Chrysler Group, USA
2006 Vorstandschef Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars